Gestern also war der 1. Tag nach den tollen olympischen, aber noch inspirierenderen paralympischen Spiele. Und genau zu diesen möchte ich meine Gedanken der vergangenen 10 Tage Paralympics mal loswerden. 
Ich geb zu, dass ich mich auch selten bis gar nicht ansonsten für Behindertensport interessiert habe. Da geht es mir so wie den Medien, in denen diese Leute und Sportarten auch nur zu den Paralympics erwähnt werden. Und irgendwie find ich das seit London echt schade.
Allen voran hat aber das Londoner Publikum bei allen Wettkämpfen zu überzeugen gewusst (ok, beim Boccia der Schwerstbehinderten wars auch ziemlich leer – aber wohl die einzige Sportart, bei der dies passierte). Dieses Publikum war überragend, das Stadion und auch die Schwimmarena fast immer ausverkauft und man erlebte einfach, dass die sportlichen Leistungen immer gewürdigt und frenetisch bejubelt wurden. Gäbe es eine Medaille für die Zuschauer, hätten die Briten eine Goldmedaille mit Brillant-Einfassung verdient. Ich krieg bei den Bildern in meinem Kopf daran immer noch Gänsehaut.
Ach, Du hast gar nicht gemerkt, dass die Paralympics waren? – nun ja, auch das kann passiert sein, denn die Übertragungen fanden vorwiegend ab dem späten Vormittag bis in den Nachmittag hinein statt, also da, wo Normalbürger arbeiten gehen – es wurde sogar von der ARD (vielen Dank nochmals dafür, denn ihr wart zumindest dem ZDF dabei voraus) an ihren Übertragungstagen noch gegen Mitternacht eine Zusammenfassung der Entscheidungen vom Abend ausgestrahlt. Aber diese Präsenz wie die Olympioniken hatten diese aussergewöhnlichen, wirklich bemerkenswerten Sportler nicht. Also wenn man sich nicht, wie ich speziell dafür interessierte, dann konnte es einem auch entziehen, dass gerade noch die paralympischen Spiele statt finden.
Das war in Grossbritannien anders – zum Glück für alle Athleten. Schon im Vorfeld wurden immense Werbungen, allein für die paralympics gestartet – Meet the superhumans – . Wer den Trailer dazu noch nicht kennt, dann unbedingt nachholen, denn allein dieser ist schon aussagekräftig genug. Zeigt er aber auch uns anderen, die ohne Handikap durchs Leben gehen, wie schnell es passieren kann, dass das Leben von einem zum anderen Tag ein anderes ist, weil man z.B. in einen Unfall verwickelt wurde. http://vimeo.com/46021828 
Auch der berühmte britische Humor kam mehr als einmal zu tragen, denn in ganz London hingen in den U-Bahn-Stationen Plakate mit dem Spruch der paralympischen Athlethen an die Olympioniken: Thanks for the warm up 😉 – ist doch herrlich, wie entspannt die Briten mit diesen Sportlern mit Behinderung umgehen. Sogar in die alten Londoner Taxis – die schwarzen Cabs – kann man mit Rollstuhl über eine eingebaute Rampe wunderbar ein-/aussteigen und mitfahren. Und auch Channel 4 berichtete sehr entspannt über die Alltagsprobleme von Behinderten (nämlich mit einem solchen Moderator), da ging es um die Benutzung der Prothesen, bis hin zu der Frage, woher der *Plopp* immer kommt, wenn man diese Prothesen entfernt – eine Entspannung bei diesem Thema, das ich mir auch gerne bei uns mehr wünschen würde.
Gehört ihr auch zu denen, die sich oft wegen Kleinigkeiten beklagen und sich nerven? – ja, auch ich gehöre da ab und an dazu und hab manchmal die Momente: Das Leben ist ungerecht……… daran wird sich sicherlich auch nichts ändern im Grossen und Ganzen, das werden wir immer wieder so empfinden. Aber seit ich bei der Berichterstattung über die Schicksale der dortigen Sportler erfuhr und sah, was für immense Leistungen sie da abrufen, da hat sich meine Perspektive doch um einiges verändert.
All die Sportler hier aufzuzählen, die mich in den vergangenen 10 Tagen Paralympics begeistert haben, das würde den Rahmen hier echt sprengen, denn das waren wirklich viele. Ausserdem muss ich zugeben, dass ich nicht jemand bin, der gut Namen abspeichert – sonst funktioniert mein Speicherchip im Kopf echt gut, aber bei Namen hat er irgendwie nen Virus 😉 – aber als ich als ebenfalls auch Rennsportfan den Namen Alex Zanardi hörte, da klingelte es auch bei mir. War das nicht der, der fast ums Leben gekommen wäre bei einem Horrorcrash? – ja genau dieser war es – nach 7 Wiederbelebungen und Amputation seiner beiden Unterschenkel oberhalb des Knies war sein Leben gerettet und Alex hat sich ins Leben zurück gekämpft – heute fährt er Handbike und gewann in London im Einzelzeitfahren Gold. Als ich diese Berichterstattung über ihn sah, da hatte ich wie so oft an diesen Spielen Gänsehaut und einfach nur ungeheueren Respekt und Hochachtung vor all den Athleten dort empfunden.
Ob Kriegsveteranen in vielen Mannschaften – Menschen, die durch Unfälle oder Krankheiten gehandikapt wurden, aber auch jene, die bereits im Mutterleib eine Behinderung davon trugen, sie alle haben uns in den letzten Tagen bewiesen, dass alles möglich ist und sein kann, wenn man mit einem eisernen Willen, Disziplin und einem Ziel wie den Paralympics vor Augen an etwas herangeht. Da wurde zu einem Diskuswerfer erzählt, dass die Ärzte ihm in der Diagnose offenbarten, dass er nie mehr gehen können wird und der in London in den Ring auf seinen eigenen Beinen lief. Da waren schon einige der heutigen Athleten an Punkten im Leben, wo sie mehr dem Alkohol oder Medikamenten verfallen waren und keinerlei Perspektiven mehr hatten, aber durch den Sport wieder zu sich selbst fanden und dieses Jahr um Medaillen gekämpft haben.
Da sah man aber auch Bilder, die man sonst soo auch bei Olympia nicht zu sehen bekommt. Nämlich dass so manchem Goldmedaillengewinner seine Medaille nicht so sehr interessierte, sondern dass dieser lieber seinen unterlegenen Gegner tröstete, bevor er selbst zum jubeln ausbrach. Da erlebte man kaum bis keine Rechtfertigungen wie bei den gehypten, unversehrten Sportlern (ich denk da nur an die Schwimmer des deutschen Teams bei Olympia 😉 ) warum die Leistungen nicht da waren etc. – da waren die Leistungen da. Und wenn ich mir die Flut der erzielten neuen Weltrekorde in den einzelnen Disziplinen ansehe, dann muss sich in den vergangenen 4 Jahren seit den letzten Paralympics in Peking irre viel getan haben, sei es bei den Prothesen, wie auch bei den Trainingsmethoden. Toll für die Athlethen. Da schwamm jemand ohne Arme um einiges schneller durch das Becken, als ich es jemals mit all meinen Gliedmassen könnte. Ich war einfach nur begeistert und das enthusiastische Publikum hat auch mit dazu beigetragen.
Ok – nun ist auch bei den Paralympics nicht alles Gold gewesen, was glänzte. So gab es einige Diskussionen um die Einteilungen der einzelnen Behinderungen in die verschiedenen Wettkampfklassen. Allein beim Weitsprung muss da dringend über die Bücher gegangen werden, denn der 2.Platzierte hätte praktisch mit seiner Behinderung über 12 Meter springen müssen, um an dem Führenden mit einer anderen Behinderung vorbei ziehen zu können. Ach ja, wenn wir schon beim Weitsprung sind, dann sollten wir den blinden Chinesen im Dreisprung nicht vergessen, der mit den Zuschauern regelrecht spielte, vor seinen Sprüngen http://www.youtube.com/watch?v=CTGk5_moWSc – aber ganz generell muss an diesen Klassifizierungen echt gearbeitet werden.
Oder der Brasilianer Yohansson Nascimento, der nachdem er Gold (in neuer Weltrekordzeit)gewann, seiner Freundin mit einem kleinen Plakat einen Heiratsantrag machte. Als er einige Tage später bei dem 100 m Finale schon nach 30 m stürzte und dann humpelnd mit einer Zeit von über 1.30 Min ins Ziel kam, war er auf dieser Strecke getragen von Standing Ovations des gesamten Stadions und tosendem Applaus.
Solche Geschichten gäbe es noch viele zu erzählen aus den nun vergangenen Paralympics. Aber ich hoffe, dass wir auch jetzt, nachdem es nicht mehr ganz so präsent ist, weiterhin diese Bilder mit uns tragen und uns von diesen aussergewöhnlichen Sportlern inspirieren lassen.
Aber auch Fragen zum Doping (irgendwas mit eingeklemmten Hoden bei den Herren hab ich da mal gelesen etc.) und Technikdoping sind Begriffe, die bei den Paralympics fielen. So mancher war sauer, weil er die Leistung seines Gegners, der besser war als er, den neueren Prothesen bei demjenigen zuschob. Leider gabs auch solche Unsportlichkeiten – denn es ist dem Besseren richtig unfair gegenüber, ihn so runterzumachen, dass er nur durch die Prothese selbst so gut wäre – und das von einem, der selbst eine trägt (auch da musste ich manchmal die Welt nicht mehr verstehen). Ok, die beidseitig beinamputierten haben tatsächlich einen Spielraum. Denn auch wenn anhand des Oberschenkels und der Arme die Grösse desjenigen ausgerechnet werden kann, so ist da meist ziemlich Spielraum nach oben (einer, der vor seiner Amputation eine Körpergrösse von 1.82 m hatte, könnte heute Prothesen tragen, die ihn bis 1.89 m gross machen, weil es so berechnet wurde) und dieser Spielraum wird dann halt auch gerne ausgenutzt (wer von uns würde es nicht evtl. auch so machen? …..). Dass damit natürlich eine grössere Schrittlänge erzielt werden kann und man dadurch im Vorteil ist, auch das war ein Knackpunkt dieser Spiele. Aber sie haben ja jetzt 4 Jahre Zeit an den Reglements für die Paralympics in Rio zu feilen.
Vielleicht schaffen sie es ja auch dann, ausführlicher in den öffentlich-rechtlichen Medien zu berichten. Ok, die Chance hätten sie schon in 2 Jahren bei den Winterspielen wieder – mal sehen, wieviel uns da präsentiert wird im TV. Und wie kompetent die Kommentatoren dann sind. Ok, die Abschlussfeier im ZDF wurde mal sehr angenehm nicht vom Kommentator zugequatscht – auch wenn das schon fast ein Privat-Konzert von Coldplay war, als Abschlussfeier. Aber auch da musste ich ein paar Mal über Twitter lästern, denn wer fireflies mit dem Satz: das sind die sogenannten Feuerfliegen kommentiert, der hatte in Englisch echt nen Fensterplatz. Mich schüttelts immer noch- zumal man, wenn man schon kein Englisch kann schnell mal hätte googlen können als Kommentator und hätte dann festgestellt, dass es sich um Glühwürmchen handelt. Aber ich mag jetzt hier nicht über die Berichterstattung von ARD und ZDF lästern, wenigstens haben sie echt viel übertragen und somit mehr als Eurosport (der zu der Zeit nur die US-Open auf dem Zettel hatte) oder andere Sender. Auch unser liebes Schweizer Fernsehen hatte mit den Paralympics so gut wie nichts am Hut oder auf dem Sendeplan.
Ich weiss noch, dass als die deutschen Rollstuhlbasketballerinnen im Finale um Gold standen, mir sich der Gedanke auftat, dass wenn das jetzt die „normalen“ Basketballerinnen bei Olympia oder einem sonstigen Turnier wäre, man das gesamte Abendprogramm auf den Kopf gestellt hätte, um es live zu übertragen. Und seit ich Rollstuhl-Basketball jetzt ausgiebig verfolgt hab, eine Wahnsinns-Sportart, bin ich total davon begeistert. Aber so musste man warten bis zum nächsten Morgen (wenn man dann nicht da arbeiten musste), um das Spiel nachgeliefert zu bekommen. Ein total spannendes Finale (und was für ein Halbfinale gegen die Niederlande der deutschen Mädels *Respekt) und eine verdiente Goldmedaille für Deutschland und da war ich für einmal echt froh, derzeit arbeitslos zu sein, denn so konnte ich es sehen.
Und so wären wir wieder bei dem Punkt, dass ich immer mehr der Meinung bin, dass man den Zeitplan für Olympia um 2 Wochen erweitern sollte und die Paralympics in die olympischen Spiele integrieren. Wobei mir auch hier zu Ohren kam, dass von Seiten der Olympioniken bzw. des IOCs auf diese strikte Trennung Wert gelegt werde. Sogar die olympischen Ringe mussten gegen das Paralympics-Symbol (siehe oben, die 3 Halbmonde) ausgetauscht werden, weil man hier klar stellen wollte, dass es KEIN Olympia ist. Was für ein Affront gegen all die beeinträchtigten Athleten. Was spräche denn dagegen, die paralympischen Disziplinen in einem grösser gesteckten Rahmen von Olympia unterzubringen? Dann gehen halt die olympischen Spiele statt 2 Wochen gut 4 Wochen – ohne Unterbrechnung dazwischen wie bisher und den paralympischen Athleten würde endlich die Aufmerksamkeit zu teil, die diese aussergewöhnlichen Menschen echt verdient hätten. Vielleicht schaffen wir das ja irgendwann einmal – hier nicht mehr zu differenzieren.
So, das war mein Tag 1 nach den Paralympics und den grossartigen Wochen in London mit seinen Sportstätten. Ich hab die Zeit sowohl mit den Olympioniken als auch mit den paralympischen Athleten sehr genossen und danke an alle dort Beteiligten, dass ihr diese Spiele für uns alle unvergesslich gemacht habt, mit einer grandiosen Stimmung. Das war ein wahres Sommermärchen der britischen Art.
So – letzte Woche war ich ein paar Tage mal wieder bei meiner Familie im Urlaub und die Fotos etc. warten auch noch, in dieser Woche hier verarbeitet zu werden, also mach ich hier erstmal für heute Schluss – demnächst also mal wieder was Privates dann von mir 😉